Christliche Weltanschauung in der Politik

An der 7. Bettagskonferenz der EVP Schweiz von heute Samstag in Aarau ging es um christliche Weltanschauungen in der Politik. Die Referentinnen und Referenten waren sich einig, dass mit dem wachsenden Bedürfnis nach Orientierung die Bedeutung verschiedener Weltanschauungen steige. Man müsse sich ihrer aber bewusst sein und sie im politischen Prozess transparent machen.

Heute Samstag hat die EVP Schweiz in Aarau zur 7. Bettagskonferenz zum Thema Christliche Weltanschauung in der Politik eingeladen. Politische Programme basieren immer auf bestimmten Wertesystemen und sind geprägt von der Weltanschauung ihrer Verfasser. Eine unideologische, rein technokratische Politik ist ein Ding der Unmöglichkeit. Neben den grossen politischen Ideologien Liberalismus, Sozialismus und Konservatismus bildeten sich politische Gruppierungen auch auf der Grundlage religiöser Überzeugungen und Wertesysteme. In Europa war das Christentum im 19. und 20. Jahrhundert Ausgangspunkt der Gründung diverser katholisch oder reformatorisch geprägter Parteien. An der heutigen Bettagskonferenz in Aarau wurde die christliche Weltanschauung und deren Einfluss auf die Politik einer vertieften Analyse unterzogen.

 

Das jüdisch-christliche Erbe als Nährboden moderner politischer Weltanschauungen

Zu Beginn postulierte Dr. Hanswalter Stäubli, Leiter des Instituts Berg die These, dass sich säkulare Strömungen christlichen Gedankenguts bemächtigt und damit grosse Politik gemacht hätten. Mehr noch: Sie hätten sich ins antichristliche gewendet, dort wo sie dem jüdisch-christlichen Erbe besonders nahe und quasi in Konkurrenz seien. Stäubli führte dies am Beispiel des Kommunismus aus, in dem das ganze heilsgeschichtliche Modell des Christentums enthalten sei: Es gäbe einen Sündenfall, ein Kreuz, eine Erlösung und am Schluss das Reich Gottes. Wenn man aber aus dem umfassenden Geschichtsverständnis des Christentums nur einige wenige tragende Säulen herausbrechen, werde der christlichen Moral der Boden entzogen. Die Postmoderne behaupte, dass Religion Privatsache sei. Doch sowenig es eine weltanschauungsneutrale Politik gebe, sowenig gebe es auch eine religiönsneutrale Politik, führte Stäubli aus. Auch Politiker würden immer an etwas glauben. Die Frage sei nur, an was. Nur wenn die unterschiedlichen Weltanschauungen thematisiert werden, die in den Parlamenten ständig aufeinander prallen würden, sei eine lösungsorientierte, an empirischen Fakten orientierte Politik möglich. Dazu müsse auch das Christentum aus seiner Geschichtsvergessenheit aufwachen.

 

Entstehungsgeschichte und geistesgeschichtliche Grundlagen der Christdemokratie in Europa

Anschliessend zeichnete Prof. Dr. Antonius Liedhegener die Entstehung der Christdemokratie in Europa nach. Im 19. Jahrhundert hätten die Überwindung des Absolutismus und die Industrialisierung die Gesellschaft fundamental verändert. In ganz Europa entstehen konfessionelle Massenparteien, wenn auch als uneinheitliches Phänomen. Auslöser der Parteibildung ist vielfach der Konflikt um die Freiheit der Kirche im liberalen Nationalstaat. Nach 1945 entsteht ein neuer Parteientyp und das Modell „christlich-demokratischer Volksparteien“ setzt sich durch. Diese Parteien wiesen zwar eine meist starke katholische Grundierung auf, seien aber nicht mehr konfessionell. Als gemeinsames Element der Christdemokratie in Europa nannte Liedhegener das Bekenntnis zur Marktwirtschaft, zum Sozialstaat, das Engagement bezüglich Lebensschutz und europäischer Integration. Die Christdemokratie wolle sich durch die Übernahme von Regierungsverantwortung profilieren und verdanke ihrer Mitteposition eine hohe Koalitionsfähigkeit. Geistesgeschichtlich stehe das christliche Menschenbild im Zentrum der Christdemokratie, welches seinen Ausfluss in der Betonung der Menschenwürde, einer solidarischen Gesellschaft und einer pluralistischen Demokratie finde. Abschliessend stellte Liedhegener die Frage in den Raum, ob das „C“ parteipolitisch eine Zukunft habe. Auf der einen Seite könne man die Christdemokratie als blosse Spielart konservativer Parteien betrachten und die Bedeutung des „C“ damit verneinen. Auf der anderen Seite könne man nicht leugnen, dass christdemokratische Parteien ein eigenständiges, christlich fundiertes, politisches Leitbild vertreten würden, was dem „C“ nach wie vor seine Berechtigung verleihe.

 

„To forge and to build – the founding principles of the ChristenUnie“

Als Gast aus den Niederlanden sprach Prof. Dr. Roel Kuiper zu den Anwesenden, Mitglied des niederländischen Senats und Vertreter der in der reformatorischen Tradition stehenden Partei ChristenUnie. „To forge and to build“ – schmieden und aufbauen – beziehe sich auf die Eröffnung der freien Universität Hollands im Jahr 1880, wo in einer Rede gesagt wurde, dass diese Universität wie eine Schmiede sein werde, die Anwälte, Lehrer, Ärzte, Pfarrer usw. mit einer christlichen Weltanschauung ausrüsten werde. Haben wir diese Weltanschauung geschmiedet, dann könnten wir auch aufbauen, führte Kuiper aus: Unsere Gemeinschaften und unsere Wirtschaft aufbauen, denn darum gehe es in christlicher Politik.

 

Die CVP und das Potential der christlichen Soziallehre

Nach der Pause sprach Dr. Lucrezia Meier-Schatz, Nationalrätin der CVP, über die Grundlagen ihrer Partei. Die CVP sei bei ihrer Entstehung stark geprägt worden von der katholischen Soziallehre. 1960 habe sich die CVP zu einer überkonfessionellen Bewegung gewandelt und von der katholischen Kirche emanzipiert. Auf Betreiben der Kantone Luzern und Zürich habe eine parteiinterne Arbeitsgruppe die Bedeutung des „C“ mit einer grossangelegten Umfrage bei den Mitgliedern klären wollen. Sie hielt zum Abschluss ihrer Arbeiten fest, dass die CVP nicht eine christliche Politik machen wolle, sondern eine Politik, die auf einem christlichen Menschenbild beruhe. Heute würden sich die Werte der CVP wie folgt charakterisieren lassen: Das C stehe für die Achtung des Menschen und seiner Würde. Es stehe für Eigenverantwortung und sei die Grundlage für die Freiheit jedes Einzelnen. Das C sei aber auch die Grundlage des solidarischen und nachhaltigen Handelns. Das C stehe schliesslich für die Förderung des Gemeinwohls. Insgesamt lasse sich die Position der CVP auf die Kurzformel liberal-sozial bringen.

 

Politik mit evangelischer Inspiration: Grundwerte und Entstehung der EVP

Abschliessend ging EVP-Parteipräsident Heiner Studer auf Grundwerte und Entstehung der EVP ein. Die Partei wurde 1919 in Zürich gegründet. Dabei war der Name „Evangelische Volkspartei“ naheliegend: nicht als Abgrenzung, sondern als Ergänzung zu den katholischen Gruppierungen. Der Begriff „Volkspartei“ bedeute, dass in der EVP von Anfang an Menschen aus allen sozialen Schichten willkommen und vertreten waren. Die Einführung des Proporzwahlsystems bei den Nationalratswahlen 1919 räumte auch kleinen Gruppierungen die Chance auf einen Sitzgewinn ein und die Überraschung und Freude war gross, als im Kanton Zürich der populäre Arzt Hans Hoppeler erster Nationalrat der EVP wurde. Zum Glück hatte die EVP im Basler Geschichtsprofessor Hermann Bächtold einen engagierten Vordenker, der im Entwurf zum ersten Parteiprogramm so aktuelle Themen wie eine nationale Erbschaftssteuer oder die Aufhebung des Bankgeheimnisses aufgriff. Von Beginn weg war man sich einig, dass die Bibel als Grundlage christlicher Politik kein konkretes politisches Rezept bieten könne, dass sich daraus wohl aber Überzeugungen ableiten lassen, die eine Politik auf christlicher Grundlage prägen können. Thematisch war die EVP ihrer Zeit oft weit voraus und hat z.B. bereits in den 50er-Jahren ein Verbot des Bleibenzins oder eine Lösung des Atommüllproblems gefordert. Heute versteht Heiner Studer die EVP als Dienstgemeinschaft, welche auf der Grundlage christlicher Werte Menschen unterschiedlicher Herkunft sammelt und eine Politik verfolgt, die sich am Anspruch „Gewissen über Interessen“ – auch schon ein Wahlslogan der EVP – messen lassen muss. Abschliessend stellten sich die Referentin und die Referenten auf einem Podium den Fragen des Publikums. Sie waren sich einig, dass das Bedürfnis nach Orientierung in der Gesellschaft steige. Schon im 17. Jahrhundert halfen Bettage bahnbrechend mit, politische und weltanschauliche Gräben zu überbrücken. An diese Tradition will die EVP Schweiz mit ihrer jeweils am Samstag vor dem eidgenössischen Bettag stattfindenden Bettagskonferenz anknüpfen.

 

Aarau, den 15. September 2012